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Digitale Formate im Journalismus haben Potenzial, gute Live-Berichterstattungen zu leisten und damit ein weltweites Publikum zu erreichen. Aktuelle Studien untermauern das und zeigen Trendentwicklungen. Es gibt jedoch gewisse Anforderungen und Hürden, derer man sich unbedingt bewusst sein sollte. Wie Journalistinnen und Journalisten Live-Journalismus für ihre Arbeit einsetzen können und worauf sie dabei achten müssen, erläutert dieser Ratgeber.

 

Um sich kurz vor Augen zu führen, was Journalimus ist und welche Aufgaben das Berufsfeld hat, hilft einsteigend dieses Zitat:

„Durch ein umfassendes Informationsangebot in allen publizistischen Medien schaffen Journalistinnen und Journalisten die Grundlage dafür, dass jede/r die in der Gesellschaft wirkenden Kräfte erkennen und am Prozess der politischen Meinungs- und Willensbildung teilnehmen kann. Dies sind Voraussetzungen für das Funktionieren des demokratischen Staates. Journalistinnen und Journalisten haben die Aufgabe, Sachverhalte oder Vorgänge öffentlich zu machen, deren Kenntnis für die Gesellschaft von Bedeutung ist.“ (Quelle: Deutscher Journalisten-Verband e. V., Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten / Download-Bereich: PDF „Berufsbild Journalistin/Journalist“, Präambel)

Crossmediale Arbeit

Diese Definition trifft auch auf neue journalistische Formate zu, um die es in diesem Beitrag geht. Das sind vor allem die Bewegtbilder und die technischen Aufnahme- sowie Konsum-Möglichkeiten von heute. Crossmediales Arbeiten lautet das Stichwort.

Alle Menschen, die einen Zugang zu Medien haben, kennen Bilder aus TV oder Internet, in denen beispielsweise eine Reporterin oder ein Reporter live aus einem (Krisen-)Gebiet berichtet. Und wir haben sicherlich schonmal unterschiedliche Aufbereitungen der Inhalte wahrgenommen. Sehen wir durch ein Wetter-Chaos wehende Haare eines Reporters, der sich vor Ort in einem Sturmtief befindet und darüber Bericht erstattet? Oder sehen wir verwackelte Bildsegmente, die lediglich mutmaßen lassen, dass man live Zeugin eines Terroranschlags ist?

Beide Varianten haben eins gemeinsam: Sie sind Livestreaming- und/oder Video-on-Demand-Angebote, also eine Aufzeichnung des ursprünglichen Livestreams. Durch neue Technologien wird es für Journalistinnen und Journalisten immer einfacher, zumindest technischerseits, bewegte Bilder und Multimedia-Inhalte zu erstellen. Es gibt jedoch Fallstricke zu beachten. Vor allem, wenn es um ethische Fragen geht.

Journalismus im Wandel der Zeit

Live-Reportagen sind prinzipiell nichts Neues. Seitdem es Fernsehen und Radio gibt, gibt es auch Live-Formate. Diese Art der Informationsvermittlung hat bisher gut funktioniert. Interviews, Veranstaltungsmitschnitte, Reportagen oder Berichte sind für solche Live-Formate geeignet. Heute würde man das als „Mobilen Journalismus“ umsetzen. Früher waren es „Live-Talkshow“ oder „Live-Berichterstattungen“. Also: Reporterinnen oder ein Reporter vermitteln dem Publikum ein Ereignis oder eine Geschichte live. Das Prinzip ist früher wie heute gleich. Nur die Produktionsmittel haben sich geändert. Wo früher ein Übertragungswagen nötig war, reicht heute das Smarphone.

Was aber ist heute anders als früher?

Mit der Zeit haben sich die Formate weiterentwickelt. Es gibt mehr technische Möglichkeiten. Nicht jede Journalistin oder jeder Journalist ist auf einen Übertragungswagen angewiesen, wenn es darum geht, bei einem tagesaktuellen Geschehen live dabei zu sein und live zu senden. Das funktioniert, auch wenn es noch nicht alle nutzen, im Vergleich zu früher relativ einfach. Man kann sozusagen aus der Jackentasche heraus einen Livestream ins Netz senden. Das bedeutet gleichzeitig, dass sich die Konsumgeräte mit verändert haben. Zuschauerinnen und Zuschauer folgen Nachrichten oder anderen Beiträgen auf vielen verschiedenen Kanälen und nicht mehr nur im TV oder übers Radio. Das Internet bietet zig Optionen wie Websites, Blogs, Mediatheken und Social-Media-Kanäle, wo Menschen sich informieren können.

Journalismus und Livestreaming

Wie im Einstiegszitat erwähnt, haben Journalistinnen und Journalisten die Aufgabe, Sachverhalte und Vorgänge öffentlich zu machen, die von gesellschaftlicher Relevanz sind. Dafür recherchieren, schreiben, redigieren, präsentieren und planen sie ihre Themen. Diese Tätigkeiten bleiben, egal in welchem Zeitalter wir uns gerade befinden. Des Weiteren liest man beim Deutschen Journalisten-Verband, dass

„[…] sich sowohl innerhalb als auch außerhalb von Medienorganisationen und Redaktionen weitere journalistische Felder und Tätigkeiten herausgebildet [haben] wie etwa das Community Management und Social-Media-Aktivitäten, Datenjournalismus sowie die Entwicklung und Umsetzung journalistischer Digitalstrategien.“ (Quelle: Deutscher Journalisten-Verband e. V., Gewerkschaft der Journalistinnen und Journalisten / Download-Bereich: PDF „Berufsbild Journalistin/Journalist“, Seite 7)

Neue Spielarten

Blogging, Videos und Social Media sind demnach im Redaktionsalltag angekommen. Und es geht noch weiter:

„Im Zuge eines beschleunigten technologischen Wandels haben sich neue „Spielarten“ (Online-Journalismus, Crossmedia, Mobile Journalismus etc.) und damit einhergehend neue (Recherche- und Präsentations-) Praktiken im Journalistenalltag entwickelt.“ (Quelle: https://www.dfjv.de/beruf/journalismus-als-beruf)

Das Berufsbild hat sich stark verändert. Neben Mobilem Journalismus und Crossmedia wird auch Livestreaming in Redaktionen immer aktueller. Die erste Rundfunk-Lizenz für einen Livestream bei Facebook vergab die Landesmedienanstalt Baden Württemberg übrigens im März 2018. Mittlerweile haben die Medienanstalten die Regeln an die neue Realität angepasst. Eine Lizenz ist für kleinere Streams nicht mehr automatisch erforderlich. Vier Jahre später zeigen aktuelle Trendentwicklungen, die in Studien und Reports aufgearbeitet wurden, klare Prognosen.

Technik & Equipment

Technische Lösung: 5G Standalone Netz für Live-Journalismus

Die mobile TV-Produktion in Deutschland soll leichter gemacht werden. Das verspricht die geplante Entwicklung von 5G Networking Slicing. Das heißt, hier wird das Netz in virtuelle Netzabschnitte eingeteilt, um die erforderlichen Bandbreiten bereitzustellen. Die Deutsche Telekom und RTL Deutschland testen diese Technologie in einem Pilot-Projekt. Sie soll es ermöglichen, mit Smartphones in einem 5G-Netz professionelle Videos live zu übertragen – auch bei großen Datenmengen. Die Technologie fördert somit die mobile TV-Produktion, also mobilen Journalismus und Live-Journalismus vor Ort.

„Echtzeit-Video mit 5G macht diese mobilen TV-Beiträge noch nahbarer. Das 5G Standalone Netz der Telekom konnte in den Tests die hohen Ansprüche des TV-Betriebs an die Signalübertragung übertreffen. Es ist sicher und zuverlässig.“ (Quelle: Presseportal.de)

5G auch für Deutsche Bahn

Das sagt Matthias Dang, Co-CEO RTL Deutschland. Bisher war die Bandbreite bei Livestreamings vor Ort technisch ein Problem. Jetzt scheint es so, als ob 5G Networking Slicing dem zukünftig Abhilfe schafft. 5G Standalone scheint übrigens auch für das Internet in der Deutschen Bahn in Planung zu sein, um Funklöcher zu schließen und die Internetverbindung zu verbessern. Das berichtet die Faz in einem Artikel. Das dürfte dann sowohl Journalistinnen und Journalisten als auch allen anderen in der Bahn Arbeitenden zugute kommen.

Equipment-Tipps: Das braucht man

Sicherlich ist jede Journalistin und jeder Journalist heutzutage mit einem Smartphone ausgestattet. Für einen Livestream braucht man nur noch ein bisschen mehr technisches Equipment. Im Vergleich zu früher kann das erstens preiswert sein und zweitens häufig intuitiv bedienbar. Die Hürde, sich mit technischen Mitteln auseinanderzusetzen, wird kleiner. Außerdem arbeiten Medienhäuser immer mehr mit externen Dienstleistern zusammen, die sich mit der Materie Livestreaming bestens auskennen. Ist das nicht der Fall, wurde bereits ein eigenes Team ins Boot geholt. Für eine Live-Berichterstattung mit wenig Technik können sich Journalistinnen und Journalisten die folgende Liste zuhilfe nehmen:

live journalismus berichterstattung unsplash

Foto: Korie Cull /Unsplash

  • Smartphone / iPhone
  • Datentarif / Pre-Paid-Tarif / mobiler Wlan-Hotspot / mobiler Router
  • Gimbal / Selfie-Stick
  • ggf. Stativ
  • Externer Akku
  • Ladekabel
  • Mehrfachstecker
  • Externes Mikrofon

Dazu interessant: Was braucht man zum Streamen?

 

Grenzen und Ethik beim Live-Journalismus

„Es existieren ethische Normen, denen sich Journalisten freiwillig verpflichten. Auf individualethischer Ebene hat der DFJV als Vorreiter einen solchen Ethik-Kodex entwickelt. Eine ältere Tradition hat der institutionenethische Pressekodex, der für Verlage gilt.“ (Quelle: https://www.dfjv.de/beruf/journalismus-als-beruf)

In ihrer Masterarbeit mit dem Titel „Ethische Grenzen und Standards bei der Liveberichterstattung nach Gewalttaten in digitalen Medien“ (2017) hat sich Jeanne Jacobs, Politikwissenschaftlerin und Redakteurin, mit dem Thema Ethik beschäftigt. In zem::dg-papers, Studien und Impulse zur Medienethik, Band 3, gibt es eine leicht veränderte Fassung, hier digital erhältlich. Die Autorin beschreibt in diesem Text, wie Passantinnen und Passanten Terroranschläge mit der Livestreaming-App Periscope ins Netz übertrugen. Inwieweit diese heftigen Gewaltbilder mit journalistischer Ethik unvereinbar sind, war zum tagesaktuellen Zeitpunkt erstmal zweitranging. Denn nicht Journalisten stellten die Liveübertragungen ins Netz sondern Augenzeugen dieser schrecklichen Taten – nahezu ungefiltert.

Schmale Gratwanderung

Eine Diskussion über ethische Grenzüberschreitungen im Journalismus bei Livestreams folgte allerdings zeitnah. Wann verstoßen Journalistinnen und Journalisten gegen die Richtlinien des Pressekodex und wann nicht? Die Gratwanderung ist schmal und die Einschätzungen manchmal verschieden, vermerkt die Autorin. Sind die oben genannten Regeln des Ethik-Kodex ausreichend oder brauchen wir neue? Diesen Fragen und deren Antworten darauf nähert sich die Masterarbeit mittels qualitativer Interviews mit Journalistinnen und Journalisten, die praktische Erfahrungen im Bereich Live-Journalismus gesammelt haben.

Gewalt im Live-Journalismus

Auch Martin Kaul, ehemals Reporter bei der taz und Investigativ-Journalist, hat sich mit dem Thema Gewalt in der Live-Berichterstattung auseinandergesetzt und agiert selbst als Livestream-Reporter. Wir haben fünf wichtige Punkte aus einem Beitrag von ihm zusammengtragen.

  1. In einem Live-Report wird der Kontext des Geschehens konkret gezeigt. Das Publikum kann sich selbst ein Bild von der Lage machen.
  2. Die Journalistinnen und Journalisten sind so nah am Geschehen, dass sie aufpassen müssen, eine gewisse Distanz zu wahren. Ein seriöser Live-Report soll nicht zu einem spektakulären Sensationsereignis werden.
  3. Im Live-Journalismus ist es besonders wichtig, Verantwortung für das Gezeigte zu übernehmen. Dazu gehört es, zwischen Spektakel und seriösen Inhalten zu differenzieren.
  4. Mobiler Journalismus kann Vertrauen schaffen, weil Zuschauerinnen und Zuschauer direkte Einblicke in Produktionen erhalten.
  5. Muss man in Live-Reportagen immer nur vermeintlich große Geschehnisse wie ausartende Demos zeigen oder sollten man den Fokus vermehrt auf weniger „spektakuläre“ Ereignisse legen.

(Quelle: Journalist 11/2018, Titelstory „Live-Berichterstattung“)

Wer sich noch etwas ausführlicher mit Live-Journalismus auseinandersetzen möchte, hier gibt es ein Gespräch mit Martin Kaul in Form eines Podcasts auf Netzpolitik.org.

Seit einigen Jahren befinden wir uns also in einer Art Übergangsphase, in der Medien – und so auch journalistische Beiträge – vermehrt digital konsumiert werden. Die Leserschaft wandert Schritt für Schritt von analog zu digital. Medienhäuser reagieren auf die Umbrüche, Printmedien gibt es zwar noch, werden aber vor allem von jüngeren Generationen immer weniger oder fast gar nicht konsumiert. Andere Medien wie die sozialen Netzwerke dienen ihnen viel häufiger als News-Lieferanten.

Produktentwicklung im Journalismus

Konrad Weber, Strategieberater, Coach und Dozent in der Medienbranche, hat Meta-Trends für 2022 identifiziert. Einer davon betrifft die Produktentwicklung im Journalismus. Wie er hervorhebt, ist das zwar nicht neu, ist aber in Medienhäusern hierzulande häufig noch nicht im Alltag integriert. Er nennt zukünftige Journalisten „Produkt-Fachexpertinnen“, die neue Technologien mit ihren kommunikativen und ethischen Skills kombinieren. Diesen Trend entdeckte Weber im Innovation in News Media World Report 2022, veröffentlicht von Innovation Media Consulting. Darin geht es in Punkt vier um Content; genauer gesagt neue Formate und Stories. Medienhäuser wollen dafür vermehrt in Podcasts, Newsletter und Live-Blogs investieren.

Podcasts, Newsletter und Audio

Auch die Publikation Journalism, Media, and Technology Trends and Predictions 2022 des Reuters Institute for the Study of Journalism und der University of Oxford erwähnt das Vorhaben, dass Publisher mehr in digitale Formate investieren wollen. Und zwar sagen 80 Prozent, dass sie Podcasting vorantreiben, 70 Prozent, dass sie E-Mail-Newsletter pushen. Aber nur 14 Prozent wollen in Audioprodukte investieren und nur 8 Prozent planen neue Formate oder Virtual und Augmented Reality. Medienhäuser werden außerdem Instagram, TikTok und YouTube mehr mit Inhalten bedienen, um jüngere Generationen zu adressieren. Dabei sei es wichtig, dass Journalistinnen und Journalisten konkretere Verhaltensregeln für die sozialen Netzwerke an die Hand gegeben werden. Innovative neue Formate haben sich allerdings nur 32 Prozent auf die Agenda geschrieben. Viele möchten altbewährte Produkte erst einmal ausbauen und verbessern. Es sei jedoch anzunehmen, dass Streaming-Plattformen wie Twitch die Content-Produktion langsichtig beeinflussen werden, notiert die Publikation als mögliche Entwicklung in 2022.

Fazit

Es ließe sich zusammenfassend festhalten, dass das Problembewusstsein ethischer Fragestellungen beim Live-Journalismus mit Gewaltdarstellungen weiterhin geschärft werden muss. Das hatte Jeanne Jacobs auch in ihrer Masterarbeit herausgearbeitet. Die Problematik sollte nie aus den Augen verloren werden. Bereits erfahrene Live-Reporterinnen und Reporter können dabei aktiv helfen. Jacobs qualitative Interviews gaben Aufschluss dazu.

Sicherlich sind Medienhäuser im Allgemeinen ständig dabei, neue digitale Formate zu entwickeln beziehungsweise auszubauen. Livestreaming gehört im Umfeld des crossmedialen Arbeitens heute oft mit dazu. Aber manchmal ist es so, dass gerade in großen Medienhäusern digitale Entwicklungen langsamer voranschreiten als bei Einzelpersonen oder in kleinen unabhängigen Redaktionen. Journalistinnen und Journalisten, die sich vorrangig gerne mit neuen Formaten beschäftigen, können treibende Kräfte sein. Das zeigte Investigativ-Journalist Martin Kaul mit seinen Live-Reportagen, die über Twitter und Periscope sehr erfolgreich liefen.

Tatsächlich sind die technischen Anschaffungen für Live-Journalismus weniger kompliziert, als viele denken. Der Ü-Wagen wurde zumindest teilweise vom Smartphone abgelöst. Wer möchte, kann dies als Vorteil sehen.

Buch-/Lese-Tipps

Die Themenbereiche Mobiler Journalismus und Live-Journalismus haben schon viele Autorinnen und Medienexperten umtrieben. Wir haben eine Leseliste mit empfehlenswerter Lektüre zusammengestellt. (Die Liste erhebt keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit.)

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