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Sich mit einem Klick ins Parlament oder die Sitzung des Stadtrats dazuschalten: Heute ist das kein Problem mehr. Denn viele Parlamente bieten Livestreams der Sitzungen an. Die Debatte darüber, ob öffentliche Sitzungen aus Parlamenten und Rathäusern live ins Internet übertragen werden sollten, wurde in manchen Kommunen kontrovers diskutiert. Letztendlich entscheiden sich immer mehr Politikerinnen und Politiker für Livestreams. Anfängliche Skepsis schwindet langsam, sofern gewisse Anforderungen erfüllt sind. Dieser Beitrag reflektiert die Debatte und zeigt, wie Politik live heute aussehen kann. [UPDATE: 05.04.2023 zum Thema Bezirksversammlungen live]

 

Für mehr Transparenz und Barrierefreiheit: Viele sehen Livestreamings aus Parlamenten oder Rathäusern als Chance, die die Digitalisierung mit sich bringt. Durch die Pandemie-Situation befeuert, gab es vor allem im Jahr 2021 eine lebhafte Debatte darüber, ob öffentliche Sitzungen live ins Internet übertragen werden sollten. Politik im Internet? Das konnten sich jedoch einige Gemeindemitglieder- und -vertreterinnen da (noch) nicht vorstellen. Anträge zum Thema Livestreaming für Stadtratssitzungen wurden mancherorts abgelehnt.

Wie zum Beispiel in Lilienthal bei Bremen, dort wurde ein Antrag der Lilienthaler Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen fürs Livestreaming von Sitzungen abgelehnt. So berichtete der Weser Kurier im März 2021. In der Gemeinde Nottuln bei Münster brauchte es einen zweiten Anlauf, beim ersten Mal stimmten nicht alle Beteiligten einem Livestream zu. Das las man online in den Westfälischen Nachrichten im Januar 2021. Dort wurde dann die Geschäftsordnung geändert, in der es jetzt heißt, dass „der grundsätzliche Wille, ein Streaming nach Möglichkeit zu gewährleisten, und das entsprechende Verfahren bekundet werden.“

Die Gründe waren vielfältig, betrafen aber meistens Datenschutzaspekte und die Gefahr von möglichen „Schaufensterreden“. Das sind politische Reden, die inhaltlich nicht viel hergeben, mehr dem „Sich-zur-Schau-stellen“ dienen. In anderen Parlamenten sind Livestreams allerdings bereits lange vor dieser Debatte etabliert und eingeführt worden.

So unterschiedlich die Betroffenen mit Politik und Livestreaming umgegangen sind, umso mehr zeichnet sich nun ein Trend ab. Zu Beginn des Jahres 2022 kann man festhalten, dass zahlreiche öffentliche Sitzungen in Deutschland live gehen. Teilweise gibt es diese zusätzlich als Aufzeichnung im Netz – ohne den Zwischenschritt der Medienlandschaft wie einer News-Website oder einer Tageszeitung.

Das Für und Wider in der „Politik live“-Debatte

„Der Bundestag verhandelt öffentlich“– so steht es in Artikel 42 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Bundestag hat demnach die Aufgabe, das parlamentarische Geschehen für eine breite Öffentlichkeit weltweit transparent zu machen. Deshalb überträgt er alle Bundestagssitzungen, eine Vielzahl der öffentlichen Ausschusssitzungen und Sonderveranstaltungen live, unkommentiert und in voller Länge im Internet und auf mobilen Geräten wie Smartphones und Tablet-PCs. (Quelle: Bundestag.de)

Transparenz

Das wohl stärkste Pro-Argument ist das der Transparenz. Denn überall, wo öffentliche politische Ämter ausgeführt werden, sollen Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, sich über Entscheidungsprozesse zu informieren und zu beteiligen. Ebenso wenn wir, aus welchen Gründen auch immer, physisch nicht teilnehmen können. Hier greift ein weiterer wichtiger Punkt, der als Für-Argument stark ist. Alle öffentlichen politischen Sitzungen sollen barrierefrei sein. Mit Livestreams oder hybriden Lösungen ist das möglich.

5 Gründe für Politik live

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Datenschutz & Datenmissbrauch

Wer sich gegen Livestreaming-Angebote aussprach, brachte meist fehlende Datenschutzvorkehrungen auf den Tisch. So resümiert es zum Beispiel ein Beitrag aus der Bayerischen Staatszeitung Anfang 2021, welche Fallstricke es beim Livestreaming geben kann. Dieser Debatte voraus ging ein verbaler Patzer eines Politikers, der sich ungehört glaubte. Einer der Fallstricke ist somit, dass Politikerinnen und Politiker sich bewusst sein müssen, dass sie von allen gehört werden können, wenn das Mikrofon noch angeschaltet ist. Und das eben nicht nur im Raum, sondern im ganzen Netz. Eine weitere Falle ist die mögliche, nicht gewollte Aufnahme und Verteilung solcher Fauxpas-Momente im Internet.

Sollten zukünftig immer häufiger Stadtrats- oder Parlamentssitzungen live aufgezeichnet und gestreamt werden, muss jedenfalls gewährleistet sein, dass die beteiligten Politikerinnen und Politiker vorab Einwilligungserklärungen unterschreiben. Es herrscht zudem eine allgemeine Angst vor Datenmissbrauch im Internet. Nehmen wir an, jemand erstellt eine Aufnahme eines Livestreams, verteilt diese über soziale Netzwerke und beleidigt die gezeigte Person persönlich und rufschädigend oder droht ihr öffentlich Gewalt an. So ein Vorgehen verletzt die Persönlichkeitsrechte von Rednerinnen und Rednern. Solche Fälle müssten juristisch geprüft werden.

Debattenkultur

Und wie verhält es sich mit der Diskussionskultur? Livestream-Skeptiker äußerten, dass möglicherweise Schaureden entstehen, sobald mitgefilmt wird. Christian Erhardt, Kommunal-Chefredakteur und Gemeindevertreter, sagt zu dieser Befürchtung, dass sich die Diskussionskultur mit Redeordnungen in der Satzung regulieren lasse. Er traue den Bürgern außerdem zu, Blender von guten Rednern zu unterscheiden, so kommentiert er auf kommunal.de.

Worauf zu achten ist

Aus der Kritik und den Ängsten der Livestreaming-Skepsis ergeben sich folgende wichtige Aspekte. Im Bereich Datenschutz muss vor einer Livestream-Sitzung geklärt sein, wer Einwilligungen für die Aufzeichnung von Bild und Ton geben muss und wer nicht. Die Persönlichkeitsrechte dürfen zu keinem Zeitpunkt verletzt werden. Die rechtlichen Rahmenbedingungen müssen zu jedem Zeitpunkt eingehalten werden. Angesichts der Angst vor Schaufenster- oder Marketing-artigen Reden könnten Livestreaming-Befürworter anmerken, dass diese Gefahr auch ohne die Live-Übertragung bestehe. Und wie Christian Erhardt kommentiert, den Zuschauerinnen und Zuschauern zu Hause sollte auch ein gewisses Urteilsvermögen zugesprochen werden.

Wenn alle Beteiligten diesen Punkten zukünftig ausreichend Beachtung schenken, dürfte der Trend weiter in Richtung Livestreaming gehen. Das zeigen auch die folgenden Beispiele. Dort ist deutlich zu sehen, wie die Livestreams inszeniert sind, also dass die Kameras möglichst nur auf die Sprecherinnen und Sprecher ausgerichtet sind oder dass wenig Hintergrund zu sehen ist. Kameraschwenks bleiben oft aus.

Politik live: Aktuelle Beispiele

Europäisches Parlament live

Politik live

Europäisches Parlament. Foto: Marius Oprea /Unsplash

Wenn das Europäische Parlament tagt, kann jede Person in einer Live-Übertragung im Netz folgen. Das gilt für alle Plenarsitzungen. Das Multimedia Centre des Europäischen Parlaments bietet außerdem einen Zeitplan der künftigen Online-Veranstaltungen an. Dort kann man nach Ausschüssen, Plenartagungen und anderen Events suchen. Klickt man zum Beispiel auf eine live gesendete Pressekonferenz, erscheint direkt der Livestream. Zusätzlich gibt es die Option, die jeweilige Veranstaltung herunterzuladen und zu teilen.

Livestream aus dem Bundestag

Der Deutsche Bundestag ist ebenso live. Es gibt Live-Übertragungen durch Fernseh- und Hörfunkanstalten. Jede in der Zukunft liegende Veranstaltung kann man unter dem Punkt Internet sehen. Unter welchen Frequenzen der Hörfunk gesendet wird, ist auch verzeichnet – wie beispielsweise beim DeutschlandRadio, WDREvent oder NDR Info Spezial, um nur einige Sender zu nennen. Der Deutsche Bundestag hat zudem in einer Online-Mediathek auf der Website das Format „Parlamentsfernsehen“ eingerichtet. Dort sind alle Livestreams angekündigt. Außerdem kann man auf dieser Landing-Page alle vergangenen Sitzungen nachträglich als Video-on-Demand-Inhalte ansehen.

Livestreams der Landtage

Der Landtag Brandenburg überträgt alle öffentlichen Ausschusssitzungen, Plenardebatten und andere Veranstaltungen via Livestreaming ins Internet. Hier finden sich die kommenden Webstreams in der Übersicht.

Auch der Landtag Rheinland-Pfalz hat eine Online-Mediathek integriert und streamt öffentliche Sitzungen. Diese werden mit der Contentflow Software ausgeführt.

Der Bayerische Landtag hat einen eigenen YouTube-Kanal eingerichtet, zu den Livestream-Verlinkungen geht es hier. Dort finden sich auch die kommenden Termine sowie Aufzeichnungen und Mitschnitte vergangener Sitzungen.

Auch der Landtag von Baden-Württemberg überträgt Sitzungen live in einer Mediathek und veröffentlicht Aufzeichnungen im Nachgang. Das Abgeordnetenhaus Berlin hat sogar einen digitalen Service, der sich „Parlament live!“ nennt. Dies sind nur einige Beispiele, alle weiteren Landtage nutzen Livestreaming als Format.

Livestreams der Kommunalparlamente

Die Stadt München überträgt Stadtratssitzungen im Livestream schon lange. Unter der Landing-Page „Politik und Beteiligung“ können alle Bürgerinnen und Bürger zusehen.

Das Bezirksamt Mitte Berlin stellt den Bürgerinnen und Bürgern ebenso Livestreams zur Verfügung, der von Contentflow durchgeführt wird. Die BVV-Livestreams können hier angesehen werden, Aufzeichnungen von vorigen Sitzungen gibt es online nicht.

Die Hamburgische Bürgerschaft macht Ausschusssitzungen ebenso online verfügbar sowie Plenardebatten unter dem Reiter Bürgerschaft live.

Immer mehr, auch kleine Kommunen, streamen ihre Sitzungen live ins Netz. Aufzeichnungen, die im Nachgang online verfügbar gemacht werden, finden auf Kommunalebene oft jedoch nicht statt.

 

Digitale Bürgersprechstunden

Auch für Bürgersprechstunden bietet sich ein Livestream an, wie es beispielsweise ein Bürgermeister in Hessen praktiziert – oder in Saarbrücken und in Bremen. Nutzerinnen und Nutzer können entweder direkt oder vorab Fragen stellen. Diese werden dann live beantwortet. Die Hürde, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen, dürfte niedriger sein, als zu einer bestimmten Zeit im Rathaus vorbeizukommen. Es bleibt jedoch spannend, inwieweit das Angebot langfristig genutzt wird.

Kommunal-Wahl-Check

Eine spannende digitale Lösung, um mit den Bürgerinnen und Bürgern zu kommunizieren, war ein Dialog zur Frankfurter Kommunalwahl. Im Februar 2021 gab es die Möglichkeit, über einen Livestream mit Gästen aus der Politik zu sprechen. Zwei Moderatoren leiteten das digitale Event. Vorab konnte man Fragen als Text oder über eine Videobotschaft stellen.

USA ist Vorreiter bei politischen Livestreams

Im Allgemeinen war die USA beim Livestreaming Vorreiter, auch was das Streaming von politischen Veranstaltungen wie Parlaments- oder Ausschusssitzungen und Wahlen angeht. Viele Bundesstaaten nutzen Livestreaming schon lange. Im Jahr 2008 hat zum Beispiel Barack Obama seinen Wahlkampf konsequent digital ausgerichtet. Dazu gibt es einen Beitrag auf der Deutsche Welle Website zu lesen. Im Vergleich zu Obama hebt der Artikel für Deutschland hervor, dass „im Jahr 2016 nicht einmal alle Kandidatinnen und Kandidaten ein Social-Media-Profil [hatten]“.

Dazu sollte man anmerken, dass in manchen Bereichen die Datenschutzanforderungen in den USA weniger streng sind als in Europa. Der „Privacy Shield„, der den Datenschutz zwischen der EU und den USA regeln sollte, ist Mitte 2020 gekippt worden. Seitdem ist ungeklärt, wie mit personenbezogenen Daten aus der EU in den USA umgegangen werden soll. (Stand: März 2022)

Parlament, Rathaus & Co. bleiben live

Ein kleiner verbaler Aussetzer hier, ein noch technisch nicht ganz perfektes Streaming dort – trotz anfänglicher Schwierigkeiten dürfte dieser Beitrag zeigen, dass Livestreaming-Services für politische Sitzungen sehr relevant sind und es weiterhin sein werden. Das zeigen auch die Formate wie Parlamentsfernsehen, Media Centre, Bürgersprechstunden online oder YouTube-Kanäle, die bereits entwickelt und erfolgreich eingesetzt wurden. Die Live-Inhalte gewährleisten Transparenz und barrierefreie Zugänge für alle. Außerdem bieten sie auch Journalistinnen und Journalisten für die Berichterstattung über (kommunal)politische Themen ein wichtiges Werkzeug.

Bezirksversammlungen live – finanzielle Mittel in Hamburg eingestellt

Aber wie sieht es langfristig mit den finanziellen Mitteln aus? Während der Corona-Pandemie hatte der Senat in Hamburg fürs Livestreaming von Bezirksversammlungen Gelder bereitgestellt. Im März 2023 stellte die Linksfraktion eine Anfrage an den Senat, ob weiterhin Mittel dafür eingeplant seien. Die Antwort lautete nein, und das obwohl das allgemeine Interesse sehr groß gewesen war. Rund 10.000 Aufrufe konnten verzeichnet werden. Dazu äußerte sich Stephan Jersch, bezirkspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE in der Hamburgischen Bürgerschaft:

„Nie haben mehr Hamburger:innen Sitzungen der Bezirksversammlungen besucht. (…) Doch trotz des nachweislichen Erfolgs ist jetzt Schluss mit der Finanzierung für die Livestreams der Bezirksversammlungen.” (Quelle: https://www.linksfraktion-hamburg.de)

Die Entscheidung sei kurzsichtig und würde technischen Fortschritt rückgängig machen, so Jersch weiter. Tatsächlich wollen drei Bezirke die Livestreams fortführen und nun aus eigener Tasche finanzieren. Es bleibt abzuwarten, wie sich das Thema in anderen Bundesländern entwickeln wird.

Dazu interessant: Gesetz für virtuelle Mitgliederversammlungen angepasst

5 Gründe für Politik-Livestreams herunterladen

Wir haben in einem kostenfreien PDF fünf Gründe zusammengefasst, die für Livestreams in der Politik sprechen:

Kostenfrei downloaden

 

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