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Mobilität ist ein großer Verursacher der CO2-Emissionen weltweit. Aber ist es wirklich so viel umweltfreundlicher, an einer digitalen Veranstaltung via Livestream teilzunehmen, als persönlich vor Ort zu sein? Es finden sich dazu unterschiedlichste Studien. So oder so kann man die Streaming-CO2-Emissionen gering halten, wenn man einige Dinge beachtet. Wir haben uns das einmal genauer angeschaut und geben konkrete Tipps für nachhaltigeres Streaming. [Update: 20.12.2022]

 

Viele Veranstaltungen können wir heute von zu Hause aus mitverfolgen. Wir müssen nicht mehr zwangsläufig für ein Meeting nach London fliegen, mit der Bahn für ein Vorstellungsgespräch durch Deutschland fahren oder für einen Vortrag in die USA reisen. Manchmal sparen wir auch einfach Zeit und schauen uns einen Vortrag lieber digital an als live vor Ort. Streaming ist generell im Alltag angekommen.

Manche Medien bezeichnen Streaming jetzt aber als „das neue Fliegen“ – eine Anspielung auf den CO2-Verbrauch, der hier entsteht. Doch ist die Klimabilanz beim Videostreaming wirklich so schlecht, sogar schlechter als beim Fliegen? In der Wissenschaft gibt es sehr unterschiedliche Informationen dazu. Die einen sagen, dass der Streaming-CO2-Ausstoß in den letzten Jahren weltweit fast doppelt so hoch war, wie beim Fliegen. Die anderen widerlegen das. Was stimmt denn nun? Wir erklären zunächst, was „grüne Informationstechnologie“ ist, und gehen der Sache auf den Grund.

Was ist eigentlich Green IT?

IT steht für Informations- und Kommunikationstechnik (kurz IKT). In Zeiten des Klimawandels hat sich der Begriff Green IT etabliert. Damit verbunden ist das Bestreben nach ressourcenschonenden, ressourceneinsparenden und umweltfreundlichen Informations- und Kommunikationstechniken – und zwar während des gesamten Lebenszyklus der jeweiligen Infrastrukturen. Das heißt, dass Produktion, Nutzung und Entsorgung möglichst „grün“ sein sollen.

Nachhaltige Strategien sind hier gefragt, um die Digitalisierung so umweltschonend wie möglich voranzutreiben. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz hat dahingehend Green-IT-Strategien entwickelt. Diese Initiative formuliert konkrete Aktivitäten und Maßnahmen. Kurz zusammengefasst: Es gelten die Kriterien des Umweltzeichens „Blauer Engel“. Diese sind vor allem für Rechenzentren zu bewerten. Es soll eine bestimmte Energieeffizienzklasse für Produkte und Dienstleistungen vorgeschrieben werden.

Der Verband der Internetwirtschaft eco hat zum Thema Green IT eine Pressemeldung veröffentlicht, in der es um klimaneutrales Heizen geht. Und zwar wird beschrieben, dass die Abwärme von Data Centern – hier am Beispiel Frankfurt am Main – genutzt werden kann, um Büros und Wohnräume in der Stadt zu heizen. Allerdings gäbe es dahingehend noch einige bürokratische und politische Barrieren, die erst überwunden werden müssten.

CO2-Emissionen der IKT-Branche – (teils) unterschiedliche Ergebnisse

streaming co2

Die Informations- und Kommunikationsbranche findet in großen Teilen zwar digital statt, jedoch sind die Infrastrukturen und digitalen Übertragungswege noch lange nicht umweltschonend. Der Anteil der IKT-Branche an weltweiten Treibhausgas-Emissionen wird laut einem Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung auf 3,7 Prozent geschätzt, das sei fast doppelt so viel wie die zivile Luftfahrt mit 2 Prozent. Ein großer Treiber sei hier das Streaming von Videos. Besorgniserregend sei der rasante Anstieg des weltweiten Energieverbrauchs. Video-Streaming ist laut Statista für 61 Prozent des Traffics verantwortlich. Das zeigt die Grafik. Wir erklären später, warum das so ist.

The Shift Project

In diesem Zusammenhang wird häufig die französische Denkwerkstatt „The Shift Project“ zitiert. Die Mitglieder dieses Think-Tank haben nämlich 2019 eine Studie – „Lean-ICT-Report“ – veröffentlicht, die aufzeigt, dass die Digitalwirtschaft gar nicht so nachhaltig und umweltschonend ist, wie man denken könnte. Die Mitglieder schätzen, dass bis zum Jahr 2025 die CO2-Emissionen der digitalen Welt circa acht Prozent ausmachen könnten. The Shift Project – hier lesen.

Bitkom

Ein anderer Bericht des Bitkom zur „Nachhaltigkeit von Streaming & Co. Energiebedarf und CO2-Ausstoß der Videonutzung im Netz“ aus 2020 betrachtet die gesamte Forschungsliteratur und arbeitet heraus, wie komplex das Thema ist. Mit dem Shift Project setzt sich das Papier kritisch auseinander. Die Autoren erwähnen, dass sich der Lean-ICT-Report auf nur eine akademische Quelle stützen würde, einem Beitrag von Huawei Technologies Sweden. Dieser sei „ein pessimistischer Ausreißer unter den akademischen Studien“. Der Bitkom-Bericht stellte heraus, dass der CO2-Verbrauch von verschiedenen Faktoren abhängig sei: insbesondere die Auswahl des Endgerätes. Außerdem seien die Energiebedarfe der Rechenzentren in Deutschland sehr verschieden, was es schwierig macht, genaue Zahlen zu berechnen. Aber: Aus dem Bericht geht hervor, dass eine Stunde Streaming circa einem Kilometer Autofahren entsprechen würde. Den gesamten Report von Bitkom anschauen.

Borderstep

Ein in 2020 veröffentlichtes Hintergrundpapier mit dem Titel „Videostreaming: Energiebedarf und CO2-Emissionen“ des Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit in Berlin stützt diese Rechnung. Und zwar liefert das Paper zum Beispiel folgende Information:

Eine Stunde Video-Streaming in Full-HD-Auflösung benötigt 220 bis 370 Wattstunden elektrische Energie, abhängig vom verwendeten Endgerät. Das verursacht etwa 100 bis 175 Gramm Kohlendioxid (CO2), also ähnlich wie die Emissionen eines Kleinwagens bei einem Kilometer Autofahrt. (Quelle: Paper, Borderstep Institut, Seite 1)

Die Berichte von Bitkom und Borderstep stimmen demnach überein. Dabei sei der Energiebedarf allerdings davon abhängig, in welcher Auflösung und auf welchem Endgerät gestreamt wird. Je höher die Auflösung und je größer der Bildschirm, desto höher ist natürlich auch der Energiebedarf.

Berechnungen von RTL

RTL Deutschland hat im November 2022 ein White Paper veröffentlicht, dass die Auswirkungen von Streaming auf die CO2-Emissionen untersuchte. Grundlegend waren größtenteils eigene Nutzungsdaten. Das waren die vier Hauptkomponenten, die bei der Berechnung zu Grunde gelegt wurden:

  1. Inhouse-Dienste/Verarbeitung,
  2. Cloud-Verarbeitung/Content-Delivery-Netzwerke,
  3. Transport/Übertragung und
  4. Endgeräte.

Die RTL+-Berechnungen kamen zu dem Ergeniss, dass bei einer Stunde Streaming mit einer durchschnittlichen Bitrate auf RTL+ 42,7 g CO2-Emissionen verursacht werden. Das entspricht einer Autofahrt von 150 Metern. RTL sagt, dass bereits eine CO2-Einsparung von 54 Prozent erzielt werden konnte – und zwar durch grünen Strom. Das Unternehmen hat es sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu sein. Das Paper hat zudem wie auch andere Studien herausgearbeitet, dass die Endgerätenutzung einen großen Anteil an den CO2-Emissionen hat. Die Ökostromnutzung sei sowohl auf Senderseite als auch für die Empfänger ein entscheidender Faktor, um CO2-Emissionen zu verringern. Das sind die Ergebnisse im Detail.

In diesem YouTube-Video finden sich weitere Informationen visuell zusammengefasst:

Damit kommen wir zu den konkreten Faktoren, die Einfluss auf  die CO2-Emissionen haben, wenn wir das Internet nutzen und streamen.

Vier IKT-Faktoren, die die CO2-Bilanz von Streaming beeinflussen

1. Rechenzentren

Überall auf der Welt gibt es Rechenzentren (auch Data Center genannt) mit Hochleistungsservern, die die Datenmengen hin- und herschicken oder hosten. Hier ist es schwierig mit der Transparenz, denn Verbraucherinnen und Verbraucher wissen in der Regel nicht, ob diese mit erneuerbaren Energien betrieben und gekühlt werden oder nicht. Und sie haben auch keinen Einfluss darauf. Es sei denn, Unternehmen diskutieren ihre „grüne IT“ öffentlich. Sind die Rechenzentren nicht mit erneuerbaren Energien betrieben, verbrauchen sie Brennstoffe, also Öl und Gas. Wie oben erwähnt, wäre es zudem nachhaltig, wenn die Abwärme der Data Center zum Heizen genutzt werden würde.

Dazu hat eco, Verband der Internetwirtschaft e.V., eine Gesprächsrunde mit Experten initiiert, bisher gibt es zwei veröffentlichte Videos zum Thema „eco Insights Datacenter“. Teil 1 und Teil 2 ansehen:

2. Datenübertragungswege

Je nachdem, auf welchem Weg die Daten von A nach B gelangen, wird mehr oder weniger Energie verbraucht. Laut der Studie „Video-Streaming: Art der Datenübertragung entscheidend für Klimabilanz“ des Umweltbundesamts sind Nutzungswege über Glasfasernetzwerke umweltschonender als 3G-Mobilfunknetze. Und das sogar 50-mal effizienter. Die damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze kommentierte:

Klimaverträgliches Streaming ist möglich, wenn man es richtig anstellt und den richtigen Weg zur Datenübertragung wählt. Aus Umweltsicht ist es eine gute Idee, mehr öffentliche WLAN Hotspots einzurichten, denn das ist klimafreundlicher als Streaming im Mobilfunknetz. (Quelle: umweltbundesamt.de/presse/)

3. Endgeräte

Alle unsere Endgeräte, mit denen wir arbeiten und konsumieren, verbrauchen Strom. Außerdem durchlaufen sie die Kreislaufwirtschaft, indem sie produziert, gekauft, genutzt und entsorgt werden. Rohstoffe, also Edel- und Sondermetalle wie Kobalt, Neodym, Tantal, Silber oder Gold, werden hier verbraucht. Apple wirbt beispielsweise damit, seit 2020 CO2-neutral zu sein. Und dass das bis 2030 auch die Produkte sein werden. Viele Tech-Unternehmen haben sich in Zeiten des Klimawandels Nachhaltigkeit auf die Agenda geschrieben und nutzen es auch als Verkaufsstrategie. Das erhöht die Transparenz und gewährt Konsumentinnen und Konsumenten Einblicke in ressourcenschonende Maßnahmen der Hersteller.

4. Software- und Cloud-Dienste

Der jeweilige Energieverbrauch eines Computers hat natürlich auch damit zu tun, was darauf genutzt wird. Somit sind Cloud- und Software-Services relevant für die Umwelt und die CO2-Emissionen. Je mehr Akku eine Software zieht, desto schneller muss ein Laptop beispielsweise an Strom angeschlossen werden. Und desto häufiger müssen Nutzerinnen und Nutzer eventuell neue Geräte kaufen, weil sie stärker beansprucht werden.

Falle: Rebound-Effekt – ein Beispiel

In der Energieökonomie bezeichnet „Rebound“ eine Art Bumerangeffekt. Das kann der Fall sein, wenn Kosten am Verbraucherende zwar eingespart werden, am Ende dies aber dazu führt, dass sie mehr konsumieren. Das Energie-Effizienz-Potenzial geht dann nicht oder zu wenig auf. Ein Beispiel, das für das Konsumverhalten von Bewegtbildinhalten inklusive Livestreaming besonders spannend ist, betrifft den Kauf von Smart-TVs. Immer mehr Menschen konsumieren Fernsehen, Video-on-Demand-Angebote und Livestreaming übers Internet. Die neuen Geräte sind zwar bestenfalls energieeffizient, ziehen also weniger Strom (pro Pixeldarstellung), aber gleichzeitig sind sie um ein vielfaches größer und verfügen über mehr Pixel, die dann wiederum auch mehr verbrauchen oder zumindest nicht einsparen.

Was können wir tun, um umweltschonender zu streamen?

streaming co2

Foto: SCREEN POST / Unsplash

Einige Hinweise gab es bereits. Hier wird es nochmal ganz konkret:

      • Ökostrom zu Hause verwenden.
      • „Stand by“ oder Spar-Modi, Ruhezustand an technischen Geräten einschalten.
      • Weniger Endgeräte kaufen bedeutet, dass auch weniger wieder im Müll landet und weniger Ressourcen verbraucht werden.
      • Wer insgesamt weniger Stunden streamt, spart Energie. No-Go: Nebenbei Streamings laufen lassen, ohne hinzuschauen. Autoplay-Funktion ausschalten.
      • Es ist empfehlenswert, auf die Energieeffizienzklasse von Produkten zu achten.
      • Kleinere Bildschirme verbrauchen weniger Strom und sind daher umweltschonender während der Nutzung.
      • Cloud-Dienste verbrauchen zwar auch in den Rechenzentren Energie, aber dafür muss die eigene Hardware nicht ganz so stark sein. Verbraucherinnen und Verbraucher können dann gegebenenfalls kleinere Rechner kaufen.
      • Alte Geräte nicht einfach entsorgen, sondern spenden oder verkaufen.
      • Es gibt bereits einen „Refurbished“-Markt. Man kann heutzutage gebrauchte, neu aufgesetzte Produkte im Internet erwerben.
      • Wenn Rechenzentren mit erneuerbaren Energien betrieben werden, werden Ressourcen geschont. Kriterien des „Blauen Engels“ beachten.
      • Insgesamt ist es empfehlenswert, das eigene Bewusstsein zu schärfen und bei der Nutzung des Internets den gesamten Kreislauf der IKT-Branche mitzudenken.
      • Greenpeace hat ein Firmenranking innerhalb des Reports „Grüner klicken“ veröffentlicht.
        Hier kann man sich über den Energieverbrauch von Internetunternehmen informieren.
      • Das BMUV hat ebenso konkrete Verbesserungsvorschläge veröffentlicht, mit denen man den CO2-Streaming-Ausschuss verringern kann.
      • Um den Stromverbrauch zu reduzieren, ist es ratsam, mit einer geringeren Bildauflösung zu streamen – der Unterschied der Bildauflösung ist sogar nicht erkennbar, wie das folgende Video zeigt:

    Fazit: Die Wahrheit liegt in der Mitte und die Streaming-CO2-Bilanz mindern kann jeder

    Aus diesen Informationen lässt sich schlussfolgern, dass Informations- und Kommunikationstechnologien zukünftig noch nachhaltiger gedacht werden müssen. Denn ressourcenschonend sind sie insbesondere dann nicht, wenn viele Personen pro Tag stundenlang über Mobilfunknetze auf großen Screens Bewegtbilder konsumieren. Das wäre sozusagen eine Worst-Case-Szene für die Umwelt. Wer hingegen über Glasfasernetze bewusst pro Tag einige Stunden auf einem kleineren Screen Livestreaming, Video-on-Demand oder TV schaut, hat schon weniger Energie verbraucht. Prof. Dr. Wolfgang Konen, Angewandte Informatik und Mathematik TH Köln, Campus Gummersbach, hat das Dilemma mit den unterschiedlichen Informationen im Netz sehr gut umrissen und mit CO2-Rechnern folgendes herausgestellt: Er geht davon aus, dass eine Stunde Full-HD-Streaming von einer Person 3 GB benötigen. Das sind 0,69 kWh oder 330 g CO2. Wenn 70 Leute dasselbe streamen, werden 23 kg CO2 ausgeschüttet. 

    Sind 23 kg CO2 viel? Dazu bemühen wir verschiedene CO2-Rechner und ermitteln, dass der ökologische Fußabdruck einer Person, die hin und zurück von Düsseldorf nach Mallorca fliegt, etwa 500 bis 700 kg CO2 beträgt. 23 kg CO2 sind also 1/25 dieses Fußabdrucks. Oder, als anderer Vergleich: Eine Hin- und Rückfahrt von Köln nach Gummersbach einer Einzelperson im Auto erzeugt etwa 20 kg CO2. Wenn 70 Personen dieses Video streamen, dann ist die CO2-Menge vergleichbar mit dieser Autofahrt eines Einzelnen. (Quelle: th-koeln.de/)

    Die Wahrheit liegt laut Professor Konen also in der Mitte der im Internet kursierenden Studien. In jedem Fall wird aber eines deutlich: Alle Personen, die das Internet für Videostreaming und andere Dinge nutzen, können dabei helfen, die CO2-Emissionen zu mindern. Wenn Unternehmen, Hersteller, Verbraucherinnen und Verbraucher etc. sich an die empfohlenen Maßnahmen halten, wird die Umwelt geschont – und mit manchen Tipps auch die eigene Geldbörse.